Regelsätze für Kinder auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand

Bundessozialgericht und Hessisches Landessozialgericht rufen das Bundesverfassungsgericht an.


Berlin. Nachdem bereits das Hessische Landessozialgericht im Oktober vergangenen Jahres dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt hat, ob die Hartz-IV-Regelleistungen, die an Familien gezahlt werden, gegen das Grundgesetz verstoßen, hat in zwei aktuellen Entscheidungen nunmehr auch das Bundessozialgericht dort anhängige Verfahren ausgesetzt und die Auffassung vertreten, dass die Vorschriften über Regelleistungen an Kinder unter 14 Jahren verfassungswidrig sind.

Der Gesetzgeber hat handwerkliche Fehler bei der Festlegung des Existenzminimums für Kinder – mit Auswirkungen auf die gesamte Familie – begangen, die gegen die Verfassung verstoßen. Die Festsetzung der tatsächlich erforderlichen Beträge hat der Gesetzgeber weder konkret ermittelt noch definiert. So bleiben für die Existenz von Kindern notwendige Ausgaben unberücksichtigt. Es fehlt jede Begründung dafür, dass der Regelsatz für Kinder nur 60 % der Leistungen betragen muss, die an die Eltern gezahlt werden. Die sich so ergebende finanzielle Unterdeckung kann soziale Ausgrenzung bewirken und zur Beeinträchtigung von Bildungspotentialen und Teilhabechancen führen.

In seiner Entscheidung kritisiert das Hessische Landessozialgericht, dass der Staat gegenüber Kindern von Hartz-IV-Empfängern seinem staatlichen Wächteramt, den existenzminimalen Bedarf zu ermitteln und dessen Deckung zu gewährleisten, nicht nachgekommen ist. In mehrfacher Hinsicht verstoßen die Regelungen gegen den Gleichheitssatz. Es ist nicht gerechtfertigt, an ältere Kinder kein höheres Sozialgeld auszuzahlen, als an Neugeborene oder Kleinkinder. Zudem ist das Diskriminierungsverbot gegenüber Familien verletzt.

Der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts stützt sich auf frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen unter anderem kritisiert worden war, dass die steuerlichen Freibeträge außerschulischen Bildungsbedarf der Kinder unberücksichtigt ließen. Nachdem nun auch das Bundessozialgericht die Bestimmungen über die Regelleistungen für Kinder für verfassungswidrig hält, sollten betroffene Familien prüfen, ob im Hinblick auf die in Karlsruhe anhängigen Musterverfahren gegen Bewilligungsbescheide Widerspruch einzulegen bzw. bei bereits bestandskräftigen Bescheiden Überprüfungsantrag zu stellen ist . Nur so kann sichergestellt werden, dass bei einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts u. U. auch rückwirkend eine Erhöhung der Regelleistungen erreicht werden kann.