Sozialrecht
Kein Zwang zum Heimwechsel aufgrund Behinderung
Celle/Berlin (DAV). Behinderte Pflegeheimbewohner müssen nicht gegen ihren Willen in eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung wechseln. Wird die Unterstützung für das Pflegeheim eingestellt, übt das Sozialamt unzulässigen Druck aus. Das Rechtsportal anwaltauskunft.de informiert über eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 03. Mai 2021 (AZ: L 8 SO 47/21 B ER).
In dem Eilverfahren des 52-jährigen schwerbehinderten und pflegebedürftigen Klägers ging es um die weitere Unterstützung des Pflegeheimplatzes. Dort lebte er seit Februar 2019. Da sein Einkommen die Heimkosten nicht deckte, übernahm dies zunächst das zuständige Sozialamt. Dieses teilte dem Mann jedoch im Oktober 2020 mit, dass eine Betreuung in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung bei seinen Einschränkungen geeigneter sei. Die derzeitige Unterstützung stellte das Sozialamt ein. Er solle stattdessen einen Antrag bei dem für Eingliederungshilfe zuständigen Landschaftsverband stellen.
Der Mann wollte aber nicht wechseln. Er fühlte sich in der bisherigen Einrichtung gut versorgt. Vielmehr befürchtete er, dass die erforderliche pflegerische Versorgung in einer anderen Einrichtung nicht ausreichend gewährleistet sei, und sich seine angegriffene Psyche verschlechtern könnte. So habe er schon mehrfach aus Überforderung Essen und Untersuchungen verweigert. Andere Behinderteneinrichtungen hätten ihn wegen des hohen Pflegebedarfs abgelehnt. Ohne die jetzt eingestellte Unterstützung des Sozialamts drohe ihm die Kündigung des Pflegeheimplatzes.
Der Mann ist gegen das Sozialamt erfolgreich. Es muss weiterhin die Unterbringung in dem Pflegeheim übernehmen. Das Gericht stellte sich auch gegen das Argument der Eingliederungshilfe für den Mann. Für dieses Recht sei die Wahrung von Menschenwürde und Selbstbestimmung von wesentlicher Bedeutung. Er könne selbst entscheiden, ob er die Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen wolle. So gingen Autonomie, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung behinderter Menschen vor vermeintlich besseren Hilfsangeboten. Auch werde der Pflegebedarf des Mannes in dem derzeit bewohnten Heim gedeckt. Deshalb habe er weiterhin Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten. Mit der Verweigerung der bisherigen Unterstützung habe das Sozialamt unzulässig Druck ausgeübt.
Nach Ansicht der Sozialrechtsanwälte konnte verhindert werden, dass der Mann im Zuständigkeitsmikado hängen blieb. Letztlich ging es auch um die Frage, ob das Sozialamt oder der Landschaftsverband die Kosten tragen muss. Betroffene dürfen aber deshalb nicht durch das Netz fallen.
Informationen: www.dav-sozialrecht.de
Kein Arbeitsunfall bei Sturz auf dem Weg ins Homeoffice
Essen/Berlin (DAV). Ein Arbeitsunfall kann sich auf dem Weg zur Arbeit und auf dem Weg nach Hause ereignen. Es liegt aber kein Wegeunfall vor, wenn man morgens auf dem Weg von seinen privaten Wohnräumen zur Arbeitsaufnahme in seinem Homeoffice auf der innerhäuslichen Treppe verunglückt. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bleibt versagt. Dies hat das Landessozialgericht Essen am 09. November 2020 (AZ: L 17 U 487/19) entschieden, wie das Rechtsportal anwaltauskunft.de mitteilt.
Der Kläger arbeitet als Gebietsverkaufsleiter seit mehreren Jahren im Außendienst. Regelmäßig ist er auch im Homeoffice tätig. Im September 2018 stürzte der Kläger auf dem Weg von den Wohnräumen in seine Büroräume eine Wendeltreppe hinunter. Er erlitt einen Brustwirbeltrümmerbruch. Die Berufsgenossenschaft lehnte Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Es liege kein Arbeitsunfall vor. Der Sturz habe sich im häuslichen Bereich und nicht auf einem versicherten Weg ereignet.
Nachdem er in erster Instanz noch erfolgreich ist, scheitert der Kläger beim Landessozialgericht. Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalles lägen nicht vor. Der vom Kläger zurückgelegte Weg sei nicht als versicherter Betriebsweg zu werten und somit nicht unfallversichert.
Bei der Wegeunfallversicherung beginne der Versicherungsschutz erst mit dem Durchschreiten der Haustür des Gebäudes. Ein im Homeoffice Tätiger könne niemals innerhalb des Hauses bzw. innerhalb der Wohnung auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit wegeunfallversichert sein.
Die Annahme eines Betriebsweges lehnte das Gericht ab. Der Kläger habe sich auf dem Weg in sein Arbeitszimmer zur erstmaligen Aufnahme seiner versicherten Tätigkeit am Unfalltag befunden. Es handele sich bei Betriebswegen um Strecken, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt würden. Vor- und Nachbereitungshandlungen der versicherten Arbeitsleistungen fielen nicht darunter.
Informationen: www.dav-sozialrecht.de
Fahrradunfall als Arbeitsunfall einer ehrenamtlichen Pflegekraft?
Stuttgart/Berlin (DAV). Bei einem Arbeitsunfall ist von Bedeutung, was man besorgen wollte. Eine ehrenamtliche Pflegekraft, die für ihre zu pflegenden Eltern Nahrungsmittel und Medikamente besorgt hatte, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Stürzt sie auf dem Rückweg mit dem Fahrrad und verletzt sich, liegt ein Arbeitsunfall vor. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Dezember 2020 (AZ: L 1 U 1664/20), wie die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.
Die Klägerin pflegte ihre Eltern und war bei der Pflegekasse angemeldet. Bei einem befreundeten Arzt besorgte sie mit dem Fahrrad sowohl ein Schmerzmedikament für ihren Vater als auch eine kleine Menge Wildfleisch. Sie stürzte auf dem Rückweg und verletzte sich am linken Knie. Der Heilungsverlauf gestaltete sich schwierig, womöglich mit erheblichen bleibenden Schäden. Unmittelbar nach dem Unfall gab die Frau in ihrem Antrag gegenüber der Unfallkasse an, die Fahrradfahrt habe sowohl der Medikamenten- als auch der Nahrungsmittelbeschaffung gedient. In einem Gespräch mit einem Mitarbeiter der Unfallkasse rückte sie auf Nachfrage das Schmerzmittel in den Vordergrund. Das Fleisch habe sie bei dieser Gelegenheit nur mitgenommen. Die Unfallkasse lehnte daraufhin die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Eine ehrenamtliche Pflegeperson sei nur bei der Besorgung von Nahrungsmitteln, nicht jedoch von Medikamenten unfallversichert.
Der Unfall ereignete sich bereits 2008. Der Rechtsstreit zog sich über mehrere Jahre hin. Es fanden mehrere Verhandlungen vor dem Sozialgericht, dem Landessozialgericht und (wegen Verfahrensfragen) auch vor dem Bundessozialgericht statt. Es wurde darum gestritten, ob im Vordergrund der Fahrt die Besorgung der Medikamente oder der Lebensmittel stand. Weiterhin darüber, ob das Wildfleisch wirklich für die zu pflegenden Eltern bestimmt und für die Versorgung derselben erforderlich war.
Das Sozialgericht gab der Frau Recht: Die (unstreitig unfallversicherte) Besorgung des Fleisches sei der wesentliche Zweck der Fahrradfahrt gewesen.
Das Landessozialgericht bestätigte die Entscheidung und verurteilte die Unfallkasse dazu, den Fahrradunfall als versicherten Arbeitsunfall anzuerkennen.
Es kam dem Gericht aber nicht darauf an, welche Tätigkeit im Vordergrund gestanden hatte. Es wäre kaum möglich, bei einer solchen Fahrt verschiedene „Handlungstendenzen“ gegeneinander abzugrenzen. Auch dass die Frau zeitweise angegeben hatte, die Besorgung der Medikamente sei Hauptzweck gewesen, gereiche ihr nicht zum Nachteil. Sie habe dies wohl angegeben, weil aus Laiensicht eher die Besorgung von Medikamenten versichert sei als die Nahrungsmittelbesorgung.
Der Lebenswirklichkeit hätten ihre allerersten Angaben in ihrem Antrag bei der Unfallkasse entsprochen, dass sie beide Zwecke verfolgt habe. Die Nahrungsmittelbeschaffung habe auch nicht im Vordergrund stehen müssen. Denn auch bei der Besorgung von Schmerzmitteln handele es sich um eine unfallversicherte Tätigkeit einer Pflegeperson. Daher sei es auf die Frage der Handlungstendenz nicht mehr angekommen. Letztlich zeigt das Ergebnis dieser rechtlichen Odyssee aber, dass es sich lohnen kann, hartnäckig zu sein, so die DAV-Sozialrechtsanwälte.
Information: www.dav-sozialrecht.de
Grenzen für Kostenbeitrag bei Einkommen behinderter Menschen
Leipzig/Berlin (DAV). Ein Jugendhilfeträger kann zwar grundsätzlich auch von jungen Erwachsenen einen Kostenbeitrag verlangen. Dient die Tätigkeit aber dem Zweck der Jugendhilfe, wie etwa in einer Werkstatt für behinderte Menschen, hat dies Grenzen. Es muss mit Ermessen entschieden werden, ob die Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise entfallen kann. Das Rechtsportal „anwaltauskunft.de“ informiert über eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2020 (AZ: 5 C 9.19).
Die 1993 geborene Klägerin hat einen höheren Grad der Schwerbehinderung. Seit Dezember 2014 arbeitet sie in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Sie erhielt dafür monatlich durchschnittlich 88 Euro netto. Gleichzeitig wurde ihr Hilfe für junge Volljährige in Form der Unterbringung in einem Wohnheim gewährt. Hierfür zog der beklagte Landkreis sie für den Zeitraum von Januar 2015 bis Juli 2016 zu einem monatlichen Kostenbeitrag von 75 Prozent ihres Einkommens heran. Diesen Beitrag setzte er im Widerspruchsbescheid auf durchschnittlich 67 Euro im Monat fest und verlangte von der Klägerin eine Nachzahlung von 1.373,95 Euro.
Die dagegen von der Klägerin erhobene Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.
Der Bescheid für die Kostenbeteiligung war rechtswidrig. Zum einen, weil die Behörde nicht das Jahreseinkommen des Vorjahres zugrunde gelegt hatte. 2014 hatte die Klägerin erst im Dezember ihre Tätigkeit aufgenommen. Zum anderen, weil die Behörde kein Ermessen ausgeübt hatte. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts habe der Landkreis als Jugendhilfeträger außerdem zu Unrecht von seinem Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Danach könne ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stamme, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung diene. Dies wäre aber hier der Fall. Zweck der Hilfe für junge Volljährige sei in erster Linie die Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung. Auch solle die selbstständige und eigenverantwortliche Lebensführung gefördert werden. Die Tätigkeit der Klägerin in einer Werkstatt für behinderte Menschen diene diesem Zweck. Daher könne nicht automatisch das dort erzielte Einkommen für die Kostenbeteiligung herangezogen werden.
Informationen: www.anwaltauskunft.de
Dienstreisen sind gesetzlich unfallversichert – Skifahren dabei nicht
Darmstadt/Berlin (DAV). Beschäftigte sind auf Dienstreisen gesetzlich unfallversichert. Organisiert eine Firma aber zur Kundenbindung eine Skireise in die USA, liegt bei einem Unfall des Geschäftsführers kein Arbeitsunfall vor. Es besteht kein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Skifahren ist eine Freizeitaktivität, auch wenn es der Pflege geschäftlicher Kontakte dienen kann. Das Rechtsportal anwaltauskunft.de informiert über eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. September 2020 (AZ: L9 U 188/18). Es war schon fraglich, ob überhaupt eine Dienstreise vorliegt, erläutert das Verbraucherportal des Deutschen Anwaltvereins.
Der Geschäftsführer eines Fachhandelsunternehmens organisierte für Firmenkunden eine sechstägige Skireise nach Aspen in Colorado. Es sollte die Kundenbindung intensiviert werden. Während der Reise stürzte der 50-Jährige bei einer Skiabfahrt. Er erlitt eine Oberschenkelfraktur, die noch in den USA operiert wurde. Für die Berufsgenossenschaft lag kein Arbeitsunfall vor. Der Unfall habe sich nicht während einer versicherten Tätigkeit ereignet. Reine Freizeitbetätigungen seien auch dann nicht versichert, wenn sie in eine Veranstaltung eingebettet seien, welche dienstlichen Belangen diene. Zwar trafen sich die Teilnehmer täglich zum Frühstück und Abendessen, ansonsten waren sie in der Gestaltung der täglichen Aktivitäten aber vollkommen frei.
Der Geschäftsführer der Firma berief sich darauf, dass er von seiner Arbeitgeberin beauftragt worden sei, die geschäftlichen Kontakte zu den mitreisenden Führungskräften der Geschäftspartner zu pflegen. Daher sollte er auch an den Aktivitäten einschließlich des Skifahrens teilnehmen. Die Mitreisenden hätten am Unfalltag ausdrücklich seine Teilnahme an der Skiabfahrt gewünscht. Währenddessen sei auch über geschäftliche Dinge gesprochen worden.
Die Klage des Verunglückten scheiterte. Das Gericht sah in dem Skiunfall keinen Arbeitsunfall. Zwar stehe man bei einer Dienstreise unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Aber nicht "rund um die Uhr". Die konkrete Tätigkeit auf einer Dienstreise müsse – ebenso wie am Arbeitsplatz – mit dem Beschäftigungsverhältnis wesentlich zusammenhängen und diesem dienen. Sei bei der „Dienstreise“ mit Kunden das Skifahren der einzige Programmpunkt, sei bereits fraglich, ob es sich um eine Dienstreise oder nicht vielmehr eine sogenannte Motivations- bzw. Incentivreise handele. Das Skifahren stehe mit der versicherten Beschäftigung des Geschäftsführers in keinem sachlichen Zusammenhang und sei daher nicht gesetzlich unfallversichert. Skifahren gehöre offenkundig nicht zu dessen arbeitsvertraglichen Pflichten.
Auch stünden nicht alle für ein Unternehmen nützlichen Aktivitäten unter Versicherungsschutz. Auch die Pflege geschäftlicher Kontakte begründe keine versicherte Tätigkeit. Sonst hätten es der Versicherte und seine Arbeitgeberin in der Hand, Freizeitaktivitäten (Skifahren) insgesamt dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu stellen, indem sie diese mit betrieblichen Motiven (Kundenbindung) verknüpften.
Informationen: www.anwaltauskunft.de
Selbständiger Arzt: Notarzttätigkeit sozialversicherungspflichtig
Schleswig/Berlin (DAV). Arbeitet ein Mediziner mit eigener Praxis außerdem als Notarzt, kann diese Tätigkeit sozialversicherungspflichtig sein. Über eine entsprechende Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. September 2020 informiert die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) (AZ: L 5 BA 51/18).
Der Arzt mit eigener Praxis arbeitet nebenbei als Notarzt. Er erhält ein festes Honorar pro Bereitschaftsstunde und pro Einsatz. Unter anderem ist er für den Kreis Nordfriesland tätig, der im Kreisgebiet den öffentlichen Rettungsdienst bereitstellt. Bei der Deutschen Rentenversicherung wollte der Mediziner feststellen lassen, dass er auch als Notarzt selbständig tätig wäre. Diese stellte jedoch eine abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fest.
Der Mann klagte. Während er in erster Instanz noch Erfolg hatte, unterlag er in der zweiten. Für das Landessozialgericht überwogen die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung, also einer Tätigkeit als Arbeitnehmer. Zu diesen Merkmalen gehöre, dass der Arzt stark in die Organisationsstruktur des Kreis-Rettungsdienstes eingebunden sei, unter der fachlichen Aufsicht des ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes arbeite und fest in den Schichtplan eingebunden sei.
Das Argument, dass der Arzt bei seinen Einsätzen in medizinischer Hinsicht keine Weisungen erhalte, wiesen die Richter zurück. Das liege in der Therapie- und Behandlungsfreiheit des Arztes begründet.
Informationen: www.dav-medizinrecht.de
Hartz-IV: Keine Prüfung der Mietkosten in Corona-Zeiten – auch bei Neuanmietung
Celle/Berlin (DAV). Während der Corona-Pandemie wird bei Hartz-IV-Empfänger nicht geprüft, ob sie in einer zu teuren Wohnung leben, und die Mietkosten angemessenen sind. Durch diese Sonderregelungen des Sozialschutzpakets sollen Corona-bedingte Wohnungsverluste vermieden werden. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat am 29. September 2020 (AZ: L 11 AS 508/20 B ER) entschieden, dass diese Regelung auch für Neuanmietungen gilt. Die Miete wird vorübergehend übernommen, erläutert das Rechtsportal des Deutschen Anwaltvereins (DAV) anwaltauskunft.de.
Die Familie lebte mit damals vier Kindern in einer Vierzimmerwohnung. Nach der Geburt des sechsten Kindes zog die Familie in ein Einfamilienhaus mit sechs Zimmern. Die Miete betrug monatlich kalt 1.300 Euro. Das Jobcenter verweigerte die Übernahme der vollen Mietkosten. Die Angemessenheitsgrenze für einen Achtpersonenhaushalt liege bei 919 Euro.
Das Landessozialgericht verpflichtete das Jobcenter jedoch zur vorübergehenden Übernahme der vollen Mietkosten. In Corona-Zeiten solle für die Dauer von sechs Monaten keine Prüfung erfolgen, ob die Mieten zu hoch wären. Dies gelte nicht nur für seit Langem bewohnte Wohnungen, sondern auch für eine gerade erst neu bezogene Wohnung.
Diese Regel gelte auch, wenn weder die Hilfebedürftigkeit der Familie noch ihr Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen seien. Es gebe keine Ursächlichkeit zwischen dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit und der epidemischen Lage.
Die Norm (§ 67 Abs. 3 SGB II) gelte auch bei sehr hohen Mieten bzw. Luxusmieten. Eine Begrenzung finde aufgrund ihres weitreichenden Wortlautes eben nicht statt. Aufgrund der zeitlichen Beschränkung des Sozialschutzpakets erfolge die Übernahme der zu teuren Miete allerdings nur vorübergehend, nämlich im konkreten Fall für fünf Monate.
Informationen: www.anwalauskunft.de
Schwerbehinderung: Einzelbeförderung zum Arbeitsplatz bewilligt
Stuttgart/Berlin (DAV). Eine schwerbehinderte Frau hat Anspruch auf eine Einzelbeförderung für Fahrten zwischen ihrem Wohnsitz und ihrem Arbeitsplatz. Dies muss als Leistung der Eingliederungshilfe bewilligt werden. Voraussetzung ist, dass damit drohende Gesundheitsgefahren bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel beseitigt werden. Das Rechtsportal anwaltauskunft.de des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2019 (AZ: S 16 SO 4868/19 ER). Dieser Anspruch besteht auch, wenn der Fahrtweg durch einen Umzug länger wird, erläutern die DAV-Sozialrechtsanwälte.
Die Antragstellerin hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, aG, B und H. Sie leidet an einer angeborenen Fehlbildung des zentralen Nervensystems (Meningomyelozele) mit Hirnwasserstau, Chiari II-Fehlbildung und Verformung der Wirbelsäule (Skoliose). Sie möchte eine Einzelbeförderung für die Fahrten zwischen ihrem Wohnsitz und ihrem Arbeitsplatz. Diese wurden ihr für die Wochentage Dienstag, Mittwoch und Donnerstag aber versagt. Sie begründet ihren Antrag mit der Lähmung im Bereich der Beine und einer neurogenen Blasen- und Darmlähmung. Sie sei auf einen Rollstuhl und die regelmäßige Katheterisierung der Blase (5x täglich; 1,5 Stunden nach dem Frühstück und dann in 5-stündigen Abständen) unter sterilen Bedingungen angewiesen. Damit werde dem hohen Risiko von Harnwegsentzündungen und weiteren Nierenschädigungen entgegengewirkt.
In der Vergangenheit wurden die Kosten für eine Einzelbeförderung zwischen der Wohnung der Antragstellerin und ihrem Arbeitsplatz übernommen. Nach dem Umzug der Frau, durch den sich der Fahrtweg verlängerte, wurden ihr lediglich noch Fahrtkosten für eine Einzelbeförderung an zwei Tagen in der Woche bewilligt.
Das Sozialgericht entschied aber, dass wegen der Gesundheitsgefahren für die Frau bei Nutzung des ÖPNV die Einzelbeförderung bewilligt werden müsse.
Informationen: www.anwaltauskunft.de
Eigenkündigung: Sperrzeit beim Arbeitslosengeld auch bei Geheimhaltungsvereinbarung?
Eigenkündigung: Sperrzeit beim Arbeitslosengeld auch bei Geheimhaltungsvereinbarung?
Stuttgart/Berlin (DAV). Wer selbst kündigt, bekommt meist von der Agentur für Arbeit eine Sperrzeit, in der man kein Arbeitslosengeld bekommt. Die Sperrzeit kann bis zu 12 Wochen betragen. Kündigt man aber aus wichtigem Grund, kann die Sperrzeit verkürzt werden oder entfallen. Ein wichtiger Grund wäre ein Aufhebungsvertrag, um einer betriebsbedingten Kündigung zuvor und eine Abfindung zu bekommen. Das Sozialgericht Stuttgart hatte am 17. Januar 2020 (AZ: S 21 AL 4798/19) über die Frage zu entscheiden, ob eine Sperrzeit auch dann entfällt, wenn der „wichtige Grund“ wegen einer Geheimhaltungsvereinbarung nicht genannt werden darf.
Gibt es mit dem (ehemaligen) Arbeitgeber eine solche Geheimhaltungsvereinbarung, kann der Betroffene den wichtigen Grund nicht nachweisen. Er kann sich dann aber nicht gegen die Sperrzeit wehren, erläutert die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) die Entscheidung. Es kommt also auf die genaue Formulierung in der Vereinbarung an.
Der Kläger kündigte zum 31.08.2019. Im Folgenden meldete er sich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Er gab an, seine Eigenkündigung sei erfolgt, da er sich nicht mehr mit seinem Arbeitgeber identifizieren könne. Er habe alles Erdenkliche unternommen, um die Gründe zu beseitigen. Auf die Details könne er wegen einer Vertraulichkeitsvereinbarung jedoch nicht eingehen. Die Agentur für Arbeit legte eine zwölfwöchige Sperrzeit wegen der Eigenkündigung fest. Der Kläger habe keinen wichtigen Grund für sein Verhalten mitgeteilt.
Die Klage ist erfolglos. Das Gericht bestätigt die Sperrzeit. Ein wichtiger Grund für das Verhalten des Klägers liege nicht vor. Da der mögliche wichtige Grund allein in der Sphäre des Klägers liege, müsse er diesen auch nachweisen. Die Richter erklärten, dass der Kläger in seinen Angaben über die Umstände der Kündigung so allgemein geblieben sei, dass dies nicht überzeugen könne. Wer derartige Vereinbarungen eingehe, die ihm den Nachweis eines wichtigen Grundes unmöglich mache, sei selbst dafür verantwortlich. Er müsse vor Eingehung einer solchen Vereinbarung die damit verbundenen (negativen) Folgen abwägen. Daraus wird nach Meinung der DAV-Sozialrechtsanwältinnen und -anwälte deutlich, dass es auf die Formulierung ankommen kann. Im Zweifel sollte man diese also überprüfen lassen.
Informationen: www.dav-sozialrecht.de
Hartz-IV: Jobcenter muss für Auszubildenden Kosten der Berufskleidung tragen
Celle/Berlin (DAV). Es ist eine Dauerfrage bei Gericht: Muss das Jobcenter die Anschaffungskosten für Berufsschulkleidung vollständig übernehmen, oder sind sie von der gesetzlichen Schulbedarfspauschale gedeckt? Nun gibt es eine wichtige Entscheidung zu Gunsten der Betroffenen, teilt das Rechtsportal anwaltauskunft.de mit. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen verpflichtete am 26. Mai 2020 (AZ: L 11 AS 793/18) das Jobcenter dazu, die Berufskleidung zu bezahlen.
Der damals 17-jährige Schüler, dessen Familie Hartz-IV-Leistungen bezieht, klagte gegen das Jobcenter. Er wollte den Beruf des Kochs lernen. Dazu brauchte er zu Beginn der Berufseinstiegsschule eine Bekleidungsgarnitur. Ein neues Set kostete 115 Euro von der Mütze bis zu den Schuhen. Eine Leihe war nicht möglich. Der Schüler wollte den Kaufpreis erstattet bekommen. Er könne den zusätzlichen Bedarf nicht anders decken, argumentierte er. Das Jobcenter lehnte den Antrag aber ab. Der Schüler erhalte bereits Pauschalbeträge für den Schulbedarf. Davon müsse er sämtliche Gegenstände finanzieren, die für den Schulbesuch erforderlich seien. Weitere Beihilfen seien gesetzlich nicht vorgesehen. Alles Weitere müsse also aus dem Regelbedarf bestritten werden.
Die Klage ist erfolgreich. Das Landessozialgericht verurteilte das Jobcenter dazu, die Kosten zu übernehmen. Die Anschaffungskosten für schulische Berufskleidung könnten nicht vom Regelbedarf gedeckt werden. Ein hilfebedürftiger 17-Jähriger erhalte eine monatliche Regelleistung von 306 Euro. Davon könne er die Kosten nicht ansparen. Das Gericht sah darin eine offensichtliche und evidente Bedarfsunterdeckung, womit das menschenwürdige Existenzminimum nicht gewährleistet werde. Auch werde Berufskleidung nicht von der Schulbedarfspauschale erfasst. Dazu zähle lediglich die persönliche Ausstattung wie Ranzen und Turnzeug sowie Gebrauchsmaterial zum Schreiben, Rechnen und Zeichnen.
Wegen dieser Bedarfslücke sah sich das Gericht gezwungen, das Gesetz verfassungskonform auszulegen. Denn der Gesetzgeber sei erkennbar gewillt gewesen, das Existenzminimum von Schülern zu decken. Da dies mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht möglich sei, müsse die Lücke vom Gericht geschlossen werden.
Informationen: www.anwaltauskunft.de