Mindestlohn
Herr Rechtsanwalt, die resolute Frau mit ihrer stattlichen Erscheinung duldete keinen Widerspruch in ihrer Ansprache, die sie mit ihrer Handtasche auf dem Schoß, auf dem äußersten vorderen Rand des Besucherstuhls sitzend an mich richtete. Herr Rechtsanwalt, was soll ich machen. Mein Mann ist selbstständig, er hat einen kleinen Souvenirladen an der Küste, der wirft so gerade genug für uns zum Leben ab. Da können wir kein fremdes Personal beschäftigen und bezahlen.
Und was soll ich sagen, die Kinder sind groß und aus dem Haus, fein gestellt, da helfe ich ihm, also meinem Mann, dann schon mal aus. So jeden Nachmittag drei, vier Stunden. Er hat mich natürlich angemeldet bei der Kasse, hat alles seine Ordnung und 200 € bekomme ich auch, das hat unser Steuerberater gesagt, das müsse so sein. Und nun das. Sie macht eine Pause und ich hebe die Augenbrauen und sehe sie fragend an. Der Mindestlohn, Herr Rechtsanwalt. Sie verzog das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. An sechs Tagen in der Woche 4 Stunden, das macht über den Daumen – sie reckt den Daumen in die Luft und streicht mit der anderen Hand darüber weg - ca. 100 Stunden im Monat, bei 8,50 € pro Stunde also 850 € brutto und dann den Arbeitgeberanteil zu den Sozialversicherungen oben drauf, das sind weit über 1000 €. Das geht gar nicht, sagt sie abschließend und sackt ein wenig in sich zusammen.
Warum nicht? Frage ich vorsichtig. Nun, sagt sie, den Daumen immer noch hochgereckt, weil das Geld für die Rentenkasse ist wegeworfen, ich bekomme keine Rentenansprüche mehr zusammen und krankenversichert bin ich bei meinem Mann. Aha, sage ich und wieso kommen Sie jetzt auf dieses Problem? Nun ja, sagt sie, nebenan beim Fischrestaurant waren letzte Woche die vom Zoll und haben alles durchsucht, nach Lohnabrechnungen, Stundenaufzeichnungen und so'nem Kram gefragt. Kontrolle Mindestlohn hätten sie gesagt. Und da dachten wir, mein Mann und ich, wenn die nur mal so nebenbei auch bei uns fragen, was tun wir denn dann? Müssen wir auch den Mindestlohn zahlen? Gibt es da nicht für Ehepaare eine Ausnahme?
Ich hatte Mühe, ernst zu bleiben. Ja, begann ich langsam, das müssen Sie wohl. Und nein, für Ehepaare gibt es keine Ausnahme. Das Mindestlohngesetz ist ganz bewußt fast ohne Ausnahmen gefaßt worden. Nur Auszubildende, ehrenamtlich Tätige, gewisse Praktika bis zu 3 Monaten sind ausgenommen. Für tarifliche Entgeltregelungen unterhalb des Mindestlohnes gibt es zudem eine Übergangsregelung bis 2017, aber darüber hinaus gilt das Gesetz für alle Arbeitsverhältnisse. Und in der Tat hat der Zoll als Bundespolizei die Aufgabe übernommen, die Einhaltung des Gesetzes zu überwachen. Und es kann richtig teuer werden, wenn man dagegen verstößt. In bestimmten Fällen ein Bußgeld bis zu 500.000 € und anderen Fällen bis zu 30.000 €. Viel Geld.
Sehr viel Geld, nickt die Dame, und was tun wir jetzt, fragt sie. Tja, sage ich, entweder Sie arbeiten weniger, so um die 20 Stunden im Monat, oder ihr Mann bezahlt Ihnen die tatsächlich von Ihnen geleisteten Arbeitsstunden mit dem Mindestlohn. Wenn Sie darüber entsprechende Aufzeichnungen führen, dann haben Sie es zum einen in der Hand, wie teuer Sie werden und zum anderen kann der Zoll dann ruhig bei Ihnen vorbeischauen, alles ist gut.
Die Frau seufzt laut und steht auf. So richtig geholfen haben Sie mir ja nicht, aber trotzdem, vielen Dank – sprichts, dreht sich um und verschwindet aus meinem Büro. Den gesetzlichen Mindestlohn wollte Sie wohl auch mir nicht zahlen.