Verkehrsrecht

Ford statt Porsche – Nutzungsausfallentschädigung?

Frankfurt am Main/Berlin (DAV). Das Fahrvergnügen ist bei einem Sportwagen anders als bei einem Mittelklassewagen. Dennoch muss man als Entschädigung für den Nutzungsausfall während der Reparatur auch einen Ford Mondeo statt eines Porsche 911 akzeptieren. Der Ford ist während dieser Zeit möglich und zumutbar. Die damit verbundene Einschränkung des Fahrvergnügens stellt einen immateriellen Schaden dar, der nicht ersetzt werden muss. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juli 2022 (AZ: 11 U 7/21).

Der Porsche 911 des Klägers wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Der Unfallverursacher haftete für den Schaden in vollem Umfang. Der Beklagte glich einen Teil des geltend gemachten Schadens aus. Mit seiner Klage verlangte der Geschädigte u.a. die verbliebene Differenz zu den tatsächlich entstandenen Reparaturkosten und Nutzungsentschädigung für 112 Tage Reparaturzeit. Ihm sei die Nutzung eines anderen Fahrzeuges nicht möglich bzw. nicht zumutbar gewesen. Ihm gehörten zwar noch weitere vier Fahrzeuge. Zwei davon würden jedoch von Familienangehörigen genutzt. Ein weiteres käme nicht in Betracht, da es in besonderer Weise für Rennen ausgestattet sei. Das vierte Fahrzeug, ein Ford Mondeo, sei für den Stadtverkehr zu sperrig und werde von der ganzen Familie lediglich als Lasten- und Urlaubsfahrzeug genutzt.

Der Sportwagen-Liebhaber bekam zwar die Reparaturkosten, auf eine Nutzungsentschädigung musste er jedoch verzichten. Zwar umfasse der zu ersetzende Schaden bei beschädigten Kraftfahrzeugen grundsätzlich auch den Wegfall der Nutzungsmöglichkeit dieses Fahrzeugs. Wenn ein Unfallopfer auf die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges verzichte, dürfe es nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der einen Mietwagen in Anspruch nehme.

Dieser Anspruch entfalle jedoch, wenn der Einsatz eines Zweitwagens möglich und zumutbar sei. Dies sei bei dem Ford Mondeo für die Fahrten zur Arbeit und bei Privatfahrten der Fall. „Dass es sich bei dem beschädigten Fahrzeug, einem Porsche 911, mithin einem Sportwagen, aufgrund seiner Motorisierung, Fahrleistung und Ausstattung um ein Fahrzeug aus dem deutlich gehobenen Marktsegment handelt, während es sich bei dem Ford Mondeo ledig um ein Mittelklassefahrzeug handelt, führt nicht zur Unzumutbarkeit der Nutzung des Ford Mondeo,“ betonte das Oberlandesgericht. Die Beschränkung des Fahrvergnügens stelle allein eine in einer subjektiven Wertschätzung gründende immaterielle Beeinträchtigung dar und sei nicht vom Schädiger zu erstatten.

Haftung bei Unfall beim Auffahren auf Bundesstraße

Hannover/Berlin (DAV). Wer auf eine Bundesstraße auffahren will, muss Vorfahrt gewähren. Wechselt auf der Bundesstraße aber jemand von der linken auf die rechte Spur, muss er Rücksicht auf die Einfädler nehmen, die von der Auffahrspur kommen. Im Zweifel haften beide Beteiligte zu jeweils 50 %. Dies folgt aus einer Entscheidung des Landgerichts Hannover vom 10. Februar 2022 (AZ: 1 O 2 163/20), wie die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV) mitteilt.

Der Kläger fuhr mit seinem Pkw auf eine Bundesstraße auf. Dabei kollidierte er beim Einfädeln mit einem Gelenkbus, der gerade von der linken auf die rechte Spur der Bundesstraße wechselte. Der Kläger behauptete, der Bus habe ihn übersehen, deshalb sei es zu dem Unfall gekommen. Ihn treffe als Auffahrenden keine Schulden, da er nicht mit dem Spurwechsel des Busses habe rechnen müssen. Außerdem sei er bereits vollständig auf der Bundesstraße gewesen. Der Beklagte hingegen meinte, der Kläger habe seine Vorfahrt missachtet.

Beide Beteiligte haften zu jeweils 50 %, entschied das Gericht. Der Kläger hafte, da er sich nicht als „Idealfahrer“ verhalten hätte. Er hätte den Spurwechsel des Busses erkennen müssen und sich erst dahinter einfädeln müssen. Daher wäre der Unfall auch für ihn abwendbar gewesen. Auch sei er nicht bereits vollständig auf der Bundesstraße aufgefahren gewesen. Da der Unfall sich in einem zeitlichen Zusammenhang zwischen Spurwechsel und Kollision ereignete, sei dies laut Sachverständigen nicht der Fall gewesen. Der Beklagte haftet ebenfalls zu 50 %, da für ihn erkennbar gewesen sein musste, dass der Kläger auf die Bundesstraße auffahren werde. Er hätte dann seinen Spurwechsel unterlassen müssen.

Information: www.verkehrsrecht.de

Entfernung vom Unfallort ist nicht immer strafbar

Lübeck/Berlin (DAV). Wer sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, macht sich strafbar. Voraussetzung ist jedoch, dass er den Unfall tatsächlich selbst bemerkt hat. Wird der Verursacher an einem anderen Ort auf den Unfall angesprochen und entfernt sich von diesem, liegt keine Fahrerflucht vor. Der andere Ort ist dann nicht der Unfallort. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV) informiert über eine Entscheidung des Landgerichts Lübeck vom 7. September 2021 (AZ: 4 Qs 164/21).

Die Klägerin wollte mit ihrem Fahrzeug und einem langen Anhänger von der Straße links abbiegen. Zunächst musste sie warten. Ein Taxifahrer ermöglicht ihr dann das Abbiegen. Dabei berührte ihr Anhänger einen gegenüber geparkten Pkw. Es entstand ein Schaden auf einer Länge von 190 cm (starke Schrammen und Dellen). Der Anhänger selbst wurde nicht beschädigt. Der Taxifahrer folgte daraufhin der Fahrerin und sprach sie an. Sie war da bereits rund 260 Meter vom Unfallort entfernt. Dann fuhr die Frau weiter. Ihr wurde wegen Fahrerflucht die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen und der Führerschein beschlagnahmt. 

Vor dem Landgericht wurde die Frau freigesprochen. Zur Begründung sagten die Richter, es läge kein dringender Tatverdacht vor, dass sie den Unfall auch tatsächlich wahrgenommen habe. Es sei möglich, dass ihr Anhänger zwar das geparkte Fahrzeug streifte und sie dies nicht bemerkte. Als sie von dem Taxifahrer auf den Unfall angesprochen wurde, hatte sie sich bereits vom Unfallort entfernt. „Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals von dem Unfall erfährt, erfüllt nicht den Tatbestand der Unfallflucht“, so das Gericht. Sie habe sich auch bereits 260 Meter von der Unfallstelle entfernt befunden und nicht mehr in Sichtweite. Von daher läge keine Unfallflucht vor. An diesem Ort sei sie eben nicht mehr warte- und auskunftspflichtig gewesen.

Information: www.verkehrsrecht.de

Links abbiegender Fahrradfahrer haftet bei Unfall allein

Düsseldorf/Berlin (DAV). Die in der StVO verankerte doppelte Rückschaupflicht gilt auch für Radfahrer. Jeder Verkehrsteilnehmer muss sich rechtzeitig vor dem Einordnen und dann nochmals unmittelbar vor dem Abbiegen über andere Verkehrsteilnehmer vergewissern. Biegt ein Fahrradfahrer links in ein Grundstück ein, haftet er bei einem Unfall allein, wenn er gegen die doppelte Rückschaupflicht verstößt. So entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf vom 7.12.2021 (A-Z: 1 U 216/20), wie die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.

In dem Fall musste der Radfahrer seinen Schaden allein tragen, so das Oberlandesgericht und konnte keine Mitschuld des Autofahrers feststellen.

Der Kläger müsse beim Abbiegen eine Gefährdung anderer ausschließen. Bei einer Kollision mit einem überholenden Fahrzeug spreche der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Abbiegers. Er habe die doppelte Rückschau verletzt und sich zuvor auch nicht bis zur Mitte der Straße eingeordnet. Der Autofahrer hatte bestritten, dass der Radfahrer seinen Richtungswechsel angezeigt hatte. Dies gehe zu Lasten des Klägers. Er hätte beweisen müssen, dass der Beklagte den Unfall verschuldete. Durch diesen Verstoß des Radfahrers trete auch die Betriebsgefahr des Autos zurück.

Information: www.verkehrsrecht.de

Schmerzensgeld nach Fahrradsturz – Hundehalter haftet zu 50 Prozent

Osnabrück/Berlin (DAV). Wer wegen eines über die Straße laufenden Hundes mit dem Fahrrad stürzt, kann Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen. Allerdings muss man in der Lage sein, sein Rad rechtzeitig zu bremsen, deshalb reduziert sich der Anspruch auf die Hälfte. Dies ergibt sich aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 10. Mai 2022 (AZ: 13 U 199/21). Wegen des Fahrradsturzes erhielt ein Mann Schmerzensgeld in Höhe von 6.300 Euro und rund 250 Euro Schadensersatz, teilt die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mit.

Der 72-jährige Kläger war mit seinem Pedelec unterwegs. Der Beklagte hielt sich am Straßenrand auf und rief seinen Hund, der auf der anderen Straßenseite war. Der Hund lief daraufhin auf die Straße und auf den Kläger zu. Der Radler stürzte und brach sich das Schlüsselbein, es folgte eine Operation an der Schulter. Darüber hinaus verlor er die Greiffunktion der rechten Hand, die allerdings vor dem Sturz bereits beeinträchtigt war. Er verklagte den Hundebesitzer auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Das Landgericht sprach ihm nur 50 Prozent zu. Ein Fahrradfahrer müsse zwar grundsätzlich in der Lage sein, sein Pedelec abzubremsen, um einem Hindernis auszuweichen oder sicher abzusteigen. Die unzulängliche Reaktion des Radfahrers wiege allerdings angesichts der durch den Hund ausgelösten Reaktion nicht so schwer. Daher sei der Pedelec-Fahrer allein für den Unfall verantwortlich. Das Verhalten des Hundes sei für den Unfall kausal geworden, es habe sich hierin eine typische Tiergefahr realisiert. Dieser Argumentation schloss sich das Oberlandesgericht an.

Vorbesitzer bei Gebrauchtwagen müssen erkennbar sein

Konstanz/Berlin (DAV). Erklärt ein Autoverkäufer, dass das Fahrzeug „laut Vorbesitzer unfallfrei“ ist, ohne ihn zu kennen, ist die Aussage falsch. Auch muss der Verkäufer den Gebrauchtwagenkäufer darüber informieren, wenn er das Fahrzeug nicht vom letzten eingetragenen Halter, sondern von einem „fliegenden Zwischenhändler“ erworben hatte. Dies kann für die Kaufentscheidung wesentlich sein. Andernfalls kann man vom Kauf zurücktreten, so die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV). Sie verweist auf ein Urteil des Landgerichts Konstanz vom 8. Juli 2021 (AZ: C 61 S 61/20).

Es ging um einen Gebrauchtwagenkauf, den der Käufer als Kläger rückgängig machen wollte. Entgegen der Angaben des Beklagten gab es die Auskunft des Vorbesitzers nicht, dass das Fahrzeug unfallfrei ist. Bekommen hatte der Beklagte das Auto von seinem Vater. Diese hatte es am Rand des Geländes eines Automobilverkäufers auf dem Anhänger eines polnischen Händlers gesehen. Auf diesem befanden sich noch weitere Fahrzeuge. Der Vater kam mit dem polnischen Händler ins Gespräch und erwarb das Auto für seinen Sohn. Bei dem Gebrauchtwagenkauf wurde der Kläger nicht über die nicht mehr bekannten Zwischenhändler informiert. Laut Auskunft dieses unbekannten Händlers sei das Fahrzeug unfallfrei gewesen.

Als der Käufer davon erfuhr, wollte er den Kaufvertrag rückgängig machen. Wann wisse nie, ob bei solchen Konstellationen das Fahrzeug einen Unfall hatte oder der Tachostand manipuliert sein könnte.

Die Klage auf Rückabwicklung des Gebrauchtwagenkaufs war erfolgreich. Es müsse darüber aufgeklärt werden, dass das Fahrzeug von jemandem übernommen wurde, der nicht als der letzte Halter in den Fahrzeugbrief eingetragen war. Der Käufer hatte nachvollziehbar dem Gericht erläutert, dass er das Auto nicht gekauft hätte, „wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug von einem Zwischenhändler, der nicht in den Papieren auftaucht, veräußert wurde und von diesem die Angabe „unfallfrei“ stammt“. Daher könne der Kläger den Kauf rückgängig machen. Er erhielt 1.800 Euro Kaufpreis zurück und gab das Fahrzeug zurück.

Unfall in der Duplexgarage

Singen/Berlin (DAV). Wer bei einer Duplexgarage die Plattform runterfahren möchte, muss prüfen, ob die Rampe gefahrlos abgesenkt werden kann. Wird das darunter stehende Fahrzeug beschädigt, muss der Geschädigte zu 60 Prozent mithaften, wenn er sein Fahrzeug nicht richtig geparkt hat. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV) informiert über eine Entscheidung des Amtsgerichts Singen vom 19. August 2021 (AZ: 3 C 17/21).

Das Auto des Klägers wurde durch das Herablassen der Aufzugsrampe auf der Motorhaube beschädigt. Es entstand ein Schaden von gut 2.200 Euro. Nach Auffassung des Klägers hätte der Beklagte die Aufzugsrampe nicht in Bewegung setzen dürfen. Er habe „sehenden Auges“ das Fahrzeug des Klägers beschädigt. Der Beklagte entgegnete, er benutze die Doppelgarage bereits seit zehn Jahren. Er habe nicht sehen können, dass er das Fahrzeug des Klägers beschädigen könnte. Es sei auch die Pflicht des Klägers ordnungsgemäß einzuparken und zu prüfen, ob sein Fahrzeug beschädigt werden könnte.

Das Gericht sprach dem Kläger ein Schadensersatz in Höhe von 40 Prozent zu, den Rest musste er selbst tragen. In der Beweisaufnahme hatte ein Sachverständiger noch ausgeführt, dass erkennbar gewesen sei, dass das Auto des Klägers nicht richtig eingeparkt war. Der konkrete Kontaktbereich mit der Motorhaube sei jedoch für den Beklagten nicht mehr einsehbar gewesen. Nach Auffassung des Gerichts hätte der Kläger die Kollision vermeiden können, wenn er das Fahrzeug ordnungsgemäß abgestellt hätte. In der Garage befand sich auch ein Schild „Achtung Pkw ganz vorfahren“. Dies habe der Kläger nicht getan, so dass es zu der Beschädigung gekommen ist. Daher hafte er ganz überwiegend.

Autoreparatur: Kosten für Corona-Reinigung müssen übernommen werden

Weilburg/Berlin (DAV). Nach der Autoreparatur haben Unfallopfer auch Anspruch auf Ersatz der Desinfektionskostenpauschale. Sie ist zwar zur Beseitigung des Unfallschadens nicht objektiv, jedoch aus Sicht des Geschädigten subjektiv erforderlich. Das eigene Fahrzeug gehört zum Bereich der Privatsphäre, bei dem niemand Sorge haben müsste, dass davon eine Infektionsgefahr ausgehen könnte. Dies entschied das Amtsgericht Weilburg am 24. August 2021 (AZ: 5 E 169/21 (51)). Das Gericht hielt eine Pauschale von 25 Euro für angemessen, aber auch 28,47 Euro mussten ersetzt werden, erläutert die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins.

Nach einem Verkehrsunfall ließ die Klägerin ihr Fahrzeug in einer Werkstatt reparieren. Auf der Rechnung fanden sich auch 28,47 Euro als Desinfektionskostenpauschale. Vor Gericht wurde über die Angemessenheit gestritten.

Die Frau hat Anspruch auf die volle Übernahme dieser Pauschale, so das Gericht. Es komme nicht darauf an, ob die Kosten objektiv erforderlich waren oder um fünf Euro zu hoch. Es reiche, wenn der Betroffene keinen konkreten Anhaltspunkt hat, dass dieser Kostenpunkt objektiv nicht erforderlich gewesen wäre oder er fehlerhaft sei. Das eigene Fahrzeug sei ein Bereich der Privatsphäre, in dem die Empfindlichkeit bei hygienischen Verhältnissen und mögliche Kontaminationen von außen besonders hoch sei. Aufgrund des Sicherheitsgefühls wolle sich niemand einem vermeidbaren Infektionsrisiko aussetzen. Daher bestehe der Anspruch auf Kostenübernahme. Das Gericht hielt 25 Euro für angemessen. Der etwas darüber liegende Ansatz könne aus Sicht des Geschädigten aber nicht als offenkundig fehlerhaft angesehen werden. Daher musste die gegnerische Versicherung die volle Pauschale übernehmen.

Information: www.verkehrsrecht.de

Bänderriss im Samba-Zug: Haftet Bahnunternehmen für Vollbremsung eines Zuges?

Koblenz/Berlin (DAV). Wer in einem Partywagen der Bahn wegen einer Vollbremsung stürzt, kann Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen. Das Bahnunternehmen kann sich nicht damit verteidigen, die Person habe sich nicht festgehalten. Dies ist auf einer Tanzfläche auch nicht möglich. Dies entschied das Landgericht Koblenz am 20. Januar 2022 (AZ: 3 O 325/20), wie die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) mitteilt.

Die Klägerin stürzte in einem Sonderzug samt Partywagen, als der Zug durch eine technische Einrichtung plötzlich zwangsgebremst wurde. Die Klägerin behauptete, sie sei zum Zeitpunkt der Vollbremsung im „Samba-Wagen“ auf der Tanzfläche gewesen. Sie sei von stürzenden Mitreisenden zu Boden gerissen worden, wobei sie sich einen Innenbandanriss im Knie zugezogen habe. Die Klägerin verlangte ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 Euro und die Erstattung ihrer Kosten.

Sowohl der Betreiber des Schienennetzes als auch das durchführende Bahnunternehmen wiesen die Verantwortung von sich. Außerdem müsse die Klägerin beweisen, dass sich der Sturz so zugetragen habe wie von ihr geschildert. Schließlich trage sie auch eine Mitschuld, weil sie Alkohol konsumiert und sich nicht festgehalten habe.

Die Klage der Frau war erfolgreich. Das Gericht sprach ihr ein Schmerzensgeld von 4.000 Euro sowie Schadensersatz zu. Für das Gericht stand fest, dass die Klägerin tatsächlich nach einer plötzlichen Bremsung im „Samba-Wagen“ auf der Tanzfläche gestürzt sei und sich dabei verletzt habe. Dafür müssten die Bahnunternehmen haften. Auf die Frage, warum eine Zwangsbremsung ausgelöst worden sei, komme es im Schadensersatzprozess der Klägerin nicht an. Beide Unternehmen seien als Bahnbetriebsunternehmer im Sinne des Haftpflichtgesetzes anzusehen und hafteten der Klägerin gemeinsam. 

Das Gericht sah auch kein Mitverschulden der Klägerin. Fahrgästen, die sich in dem für Feiern eingerichteten Wagen auf der Tanzfläche aufhielten, könne man nicht vorwerfen, sich nicht festgehalten zu haben. Außerdem habe es keine Haltemöglichkeiten gegeben. Auch der Alkoholkonsum mindere den Anspruch der Klägerin nicht, dieser sei für den Sturz nicht ursächlich.

 

Supermarktparkplatz: Unfall mit offener Tür

München/Berlin (DAV). Wer ein- oder aussteigt, darf andere nicht gefährden. Kommt es zu einem Unfall wegen der geöffneten Tür, spricht der „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Pflichtverstoß des Aussteigenden. Auch darf man auf einem Supermarktparkplatz die Tür nicht so lange geöffnet haben. Kann nicht bewiesen werden, dass jemand gegen die bereits offene Autotür gefahren ist, haftet der Halter des Autos mit der offenen Tür. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über eine Entscheidung des Amtsgerichts München vom 27. Oktober 2021 (AZ: 343 C 106/21).

Die Klägerin verlangte wegen einer Kollision auf einem Supermarktparkplatz Schadensersatz. Ihr VW stand in einer Parkbucht auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Auf dem Fahrersitz saß der Ehemann der Klägerin. Der Beklagte parkte mit einem Opel in die Parkbucht links daneben ein. Dabei stieß er mit der geöffneten Fahrertür des VW zusammen. 

Die Klägerin macht restliche Schadensersatzansprüche unter Berücksichtigung einer teilweisen vorgerichtlichen Regulierung durch die Versicherung des Beklagten geltend. Die Fahrertür ihres Autos sei bereits mehrere Minuten erkennbar geöffnet gewesen. Der Beklagte behauptet, die Tür des VW sei noch geschlossen gewesen, als der Opel daneben eingefahren sei. Währenddessen sei die Fahrertür des VW plötzlich und unvermittelt geöffnet und gegen das Beklagtenfahrzeug gestoßen worden. Die Klagepartei würde daher allein für die Schäden haften und habe im Rahmen der vorgerichtlichen hälftigen Regulierung bereits mehr erhalten, als ihr zustehe.

Nach der Vernehmung des Ehemanns sowie einer unbeteiligten Zeugin und einem Sachverständigengutachten wies das Gericht die Klage ab. Dass die Tür des VW bereits für mehrere Minuten offen gestanden hatte, konnte nicht nachgewiesen werden. Schon die unbeteiligte Zeugin meinte sich zu erinnern, dass die Tür insgesamt nur 5 cm aufgestanden habe. Nach dem Sachverständigengutachten musste die Tür bei der Kollision hingegen 60-70 cm geöffnet gewesen sein. Auch vermeintliche Erinnerungen der Zeugin zur Geschwindigkeit wurden mit dem Gutachten widerlegt. Die Angaben des Ehemannes und des Beklagten widersprachen sich, ohne dass das Gericht den einen oder anderen Angaben einen höheren Erkenntniswert zumessen konnte. Für eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung des Türöffners – hier des Fahrers des Klägerfahrzeugs – spreche der Beweis des ersten Anscheins. Wer in ein Fahrzeug ein- oder aussteigt, müsse sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Information: www.verkehrsrecht.de