Entschuldigung!

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) unterhält Arbeitsgemeinschaften, die fachlich ausgerichtet sind. Fast jeder Anwalt, jede Anwältin ist in mindestens eine dieser Arbeitsgemeinschaften organisiert. Die Arbeitsgemeinschaften bieten Fort- und Weiterbildung und nicht selten auch ein berufspolitisches oder auch allgemein-politisches Forum dort, wo die Politik ganz eng mit der juristischen Arbeit verbunden ist.

Eine dieser Arbeitsgemeinschaften ist die für Ausländer- und Asylrecht. In ihr sind Anwälte organisiert, die vornehmlich im Ausländer- und Asylrecht tätig sind. Ausländer- und Asylrecht ist immer auch politisches Recht und unser Umgang mit Ausländern ist ein Aushängeschild für die Weltoffenheit, das Demokratieverständnis und vor allem für unsere Haltung zu den Menschenrechten. Auf schreckliche Weise ist uns durch die rechte Terrorzelle NSU vor Augen geführt worden, wohin es führt, wenn Politik und Gesellschaft vor politisch motivierter Gewalt die Augen verschließen.

Der stellvertrende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, der Kollege Rechtsanwalt Rainer M. Hofmann aus Aachen hat hierüber in der von der Arbeitsgemeinschaft herausgegebenen Zeitschrift „Anwaltsnachrichten Ausländer und Asylrecht – ANA-ZAR – in seinem „Standpunkt" geschrieben (Heft 4, 2012, S. 29). Bevor ich das mit eigenen Worten versuche auszudrücken, was der Kollege dort schon mit der gebotenen Schärfe und Pointiertheit getan hat, stelle ich – mit seiner Erlaubnis – seinen Artikel hier ein:

Entschuldigung!

Dieser Tage erinnern wir uns an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vor 20 Jahren. Schon seit kurz nach der Wiedervereinigung wird bei uns gemordet und gebrandschatzt. Rostock ragt heraus, weil man es dort dem Mob erlaubte, mehrere Tage das Kommando zu übernehmen. Was tat damals die Politik? Sie knickte ein oder freute sich über die außerparlamentarische Unterstützung. Täter wurden zu Opfern erklärt, Opfer zu Tätern. Rudolf Seiters, früher Bundesinnenminister, heute deutscher Rotkreuz-Präsident, nahm Rostock erfolgreich zum letzten Anlass, beinahe die ganze SPD auf die Seite von Helmut Kohl und Oskar Lafontaine zu ziehen. Das Asylgrundrecht wurde verstümmelt, zu uns Geflohene diskriminiert, Leistungssätze unterhalb der Armutsgrenze eingeführt. Alles im Namen des Mobs.

Was taten die Gerichte? Stellvertretend für alle steht das Bundesverfassungsgericht. Es kappte die jahrzehntealte Verknüpfung zwischen Menschenwürdeprinzip und Asylgrundrecht. So wurde das Durchwinken der Grundgesetzänderung möglich. Geurteilt wurde in unser aller Namen. Tatsächlich aber im Namen des Mobs. Was taten die kritischen Geister, die Advokaten der Betroffenen und deren Unterstützer? Viele protestierten. Wir argumentierten in Gerichtssälen gegen rassistische Gesetze und deren ungerechte Wirkungen. Die führende deutsche Flüchtlingsorganisation, Pro Asyl, übte sich jedoch noch bis in die 90er Jahre hinein in zurückhaltender Sprache. In der Hoffnung, Schlimmeres verhüten zu können. Richtig machtvoll war das alles nicht. Und vor allem nicht erfolgreich. Der Mob war stärker.

Die Stadt Rostock hat sich nach 20 Jahren offiziell entschuldigt. Bundespräsident Gauck hielt dort eine beachtliche Rede. Eine Entschuldigung kam aber nicht vor. Entschuldigungen der verantwortlichen Politiker? Fehlanzeige! Das BVerfG hat sich mit seiner aktuellen Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes nur halbherzig entschuldigt. Revision seiner unsäglichen Entscheidungen zu den Asylgesetzen steht aus.

Bei all denen, die damals betroffen waren, die es wegen ihrer Erlebnisse in meinem Land heute noch sind, bei denen, die überlebt haben, und bei denen, die es hören wollen und können, sage ich deshalb: Ich bitte um Entschuldigung für das, was Ihnen angetan wurde! Und dafür, dass wir nicht mehr gekämpft, nicht erfolgreicher argumentiert,

nicht heißblütiger gefochten und Menschen nicht besser geschützt haben. Wir hatten wohl nicht erkannt, dass der Weg von Rostock direkt zum NSU führte. Als kurz nach 1990 wieder brauner Mob mit gestrecktem rechten Arm durch deutsche Städte marschierte, da schon hätten wir sehen müssen, wohin die Reise ging und bis heute geht.

Die Entschuldigung richtet sich aber auch an uns selbst. Menschenrechte verteidigen wir nicht (nur) wegen der schönen Augen der Migranten, sondern (zuerst) wegen uns selbst. Durch deren teilweise Aufgabe wurde uns allen geschadet.

RA Rainer M. Hofmann, Aachen